Assumptio BMV,15. August 1973

Dort, wo in der Liturgie-Konstitution des II. Vaticanum vom Sinn des Liturgischen Jahres, des Kirchenjahres, die Rede ist, wird in einem sehr schönen, vielsagenden Satz auch auf den Sinn der Marienfeste im Laufe des Kirchenjahres hingewiesen. Es heißt da (Art.102): "Bei der Feier des Jahreskreises der Mysterien Christi verehrt die hl. Kirche mit besonderer Liebe Maria, die jungfräuliche Gottesgebärerin, die durch ein unzerreißbares Band mit dem Heilswerk ihres Sohnes verbunden ist. In Maria bewundert und preist die Kirche die erhabenste Frucht der Erlösung. In ihr schaut die Kirche wie in einem reinen Bild mit Freuden an, was sie ganz zu sein wünscht und hofft."

Maria - "die erhabenste Frucht der Erlösung“, die es zu bewundern und zu preisen gilt. Nie haben wir mehr Gelegenheit dazu als an jenen beiden Festen, die uns an die Anfangs- und Endbegnadigung Mariens erinnern:

Die Anfangsbegnadigung Mariens erfolgte in ihrer unbefleckten Empfängnis. Wir feiern dieses Geheimnis im Advent, am 8.Dezember und werden dabei an den 8. Dez.1854 erinnert, da Papst Plus IX. feierlich als Dogma definierte, "dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von jeder Makel der Erbsünde rein bewahrt geblieben ist" und dass diese von Gott geoffenbarte Wahrheit von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben ist.

Die Endbegnadigung Mariens erfolgte in ihrer leiblichen Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit gleich am Ende ihres Erdenlebens. Wir feiern dieses Geheimnis mitten in der sommerlichen Erntezeit am heutigen 15. August und denken dabei daran, wie Papst Pius XII. am 1. November 1950 als Dogma feierlich verkündete, "dass die unbefleckte, immer jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Seele und Leib zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen worden ist" und dass diese von Gott geoffenbarte Wahrheit von keinem Gläubigen geleugnet oder bewusst in Zweifel gezogen werden darf.

Wie vielfach geschieht es aber heute leider, dass diese beiden marianischen Dogmen in Zweifel gezogen oder offen geleugnet werden. Warum fällt so vielen Menschen heute der Glaube an die Unbefleckte Empfängnis Mariens so schwer? Weil man nicht mehr die erbsündliche Gefallenheit des Menschengeschlechtes vom Anfang seiner Geschichte an, aber auch seine Erlösung nicht mehr wahrhaben will und alles nur noch auf die falsche Karte der Selbsterlösung und Selbstbefreiung setzt! Und warum fällt so vielen Menschen heute der Glaube an die leibliche Aufnahme Mariens in die himmlische Herrlichkeit so schwer? Weil man nicht mehr an das Fortleben der Menschen, aller Menschen jenseits der Todeslinie und an die hohe Berufung und Bestimmung des Menschen in der Teilnahme an Gottes Herrlichkeit und Seligkeit glaubt.

Eigentlich bietet der Glaube an den definitiven, ganzheitlichen, leibseelischen Eingang Mariens in die von Gott für alle Menschen geplante endzeitliche Beseligung und Verherrlichung keine besonderen Denkschwierigkeiten für den, der überhaupt an die endzeitlichen Ereignisse, die auf jeden Menschen warten, glaubt, wie sie am Ende des Apostolischen Glaubensbekenntnisses ausgesprochen werden: "Ich glaube... an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben".

Christus, der menschgewordene Gottessohn und Erlöser des Menschengeschlechtes, lebt seit seiner Auferstehung und Himmelfahrt in verklärter, leibseelischer Existenzweise beim Vater und auch wir werden nach Ablauf der irdischen Geschichte zu einem solchen Leben auferweckt werden. Welcher gläubige Mensch könnte nun etwas Unpassendes oder gar Unmögliches darin sehen, dass Maria, die Christus so nahestand, nicht bis zur allgemeinen Auferstehung der Toten warten musste, sondern schon nach kurzer Zeit, nach einer "kleinen Weile" in die Ietzte, ganzheitliche, nicht bloß seelische, sondern auch leibliche Vollendung ihres Wesens eingehen durfte? Wer von uns hätte - wenn ihm die nötige Macht dazu zur Verfügung gestanden wäre - an seiner eigenen Mutter nicht genau so gehandelt? Warum hätte Christus den jungfräulichen Leib seiner Mutter, die Er innig liebte und der gegenüber Er das 4. Gebot Gottes vorbildhaft erfüllen wollte, erst der Verwesung im Grab ausliefern sollen, wenn Ihm die Macht zustand, das, was an allen Menschen am Ende der Zeiten geschehen soll, vorauszunehmen? Die Aufnahme Mariens mit Seele UND Leib gleich am Ende ihres Erdenlebens in die himmlische Herrlichkeit war gewiss eine wunderbare Frucht der Erlösungstat Christi und ein besonderes Gnadenprivileg, das Er Maria zuteil werden ließ, aber es galt letztlich dieser Vorgang nicht nur Maria, sondern auch uns. Denn Maria ist in ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel eigentlich keine Ausnahme, sondern nur eine Vorausnahme, und zwar eine für unsere Zeit besonders aktuelle Vorausnahme.

Wer nämlich aus der Optik des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel die Zeichen unserer Zeit sondiert, dem fällt eine dreifache Zeitverirrung auf: zuerst die Leugnung der jenseitigen Welt: der Auferstehung der Toten und des ewigen Lebens; und dann einerseits eine himmelschreiende Leibverachtung und Zertrampelung der Menschenwürde und anderseits eine hemmungslose Leibvergötzung.

Die erste Zeitverirrung braucht in ihrer Tatsächlichkeit nicht lange bewiesen zu werden: statistische Befragungen auch unter Katholiken haben gezeigt, wie schwach und angefochten oder ganz erstorben bei vielen Menschen unserer Zeit der Glaube an das Fortleben nach dem Tod, der Glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben ist. Diesem Kleinglauben und Unglauben stellt die Kirche im auferstandenen Gottmenschen Jesus Christus und in seiner auch leiblich in die himmlische Herrlichkeit aufgenommenen jungfräulichen Mutter diese großen, strahlenden Zeichen des Glaubens an die absolute Zukunft des Menschen entgegen.

Zur Illustration der beiden anderen Zeitverirrungen und Häresien: Verachtung des menschlichen Leibes einerseits, Vergötzung des menschlichen Leibes anderseits gäbe es ebenfalls genug höchst aktuelle Beispiele beschämender und trauriger Art, auf die hingewiesen werden könnte; man braucht nur an manche Sex-Illustrierte und an die berüchtigten Sexreporte in den Kinos denken.

Hoch über diese Zeitverirrungen stellt die Kirche am heutigen Fest die Würde des Menschen in Seele und Leib in der Offenbarungswahrheit vom erlösten Menschen, der in Maria paradigmatisch vor uns steht: Der ganze Mensch mit Seele UND Leib ist nach dem wunderbaren Schöpfungsplan Gottes zu höchster Würde und Bestimmung berufen und nach dem wunderbaren Heilsplan Gottes in das Leben und die Herrlichkeit Christi, des Auferstandenen, hineingenommen, und zwar jetzt schon. Auch der Leib besitzt übernatürliche Würde, ehrenvollste Berufung und Bestimmung, seit der Sohn Gottes im Geheimnis der Menschwerdung aus Maria der Jungfrau einen menschlichen Leib angenommen und diesen im Tod nicht etwa für immer abgelegt, sondern in seiner glorreichen Auferstehung wieder und zwar für immer mit seiner Seele vereint hat in verklärter Herrlichkeit.

Es wäre uns allen, Brüder und Schwestern, sehr heilsam, an Hand des heutigen Festgeheimnisses falsche Auffassungen über den Menschen, seine